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Armin Elhardt

Als Schillers Fritz noch Schulbub war

Jährlich gehen etwa 350 000 Leute ins Ludwigsburger "Forum", und sie kommen auch wieder heraus. Das weiß doch jeder. Unbekannt hingegen ist die Tatsache, dass Friedrich Schiller um ein Haar viel länger als sieben Jahre in Ludwigsburg geblieben wäre; als 20jähriger hätte er - das ist so gut wie sicher - in der evangelischen Kirche geheiratet und wäre nach 2 ½ Jahren unglücklicher Ehe nach Tilsit, Oklahoma, ausgewandert.

Unser Tragöde vom Neckar verließ aber das "schwäbische Potsdam" vorzeitig per Emigration über Oggersheim nach Thüringen. Und so steht das große Amerika-Einwandererdrama aus der Hand eines deutschen Klassikers immer noch aus. Nicht aber die Antwort auf die Frage, was denn nun Schiller aus Ludwigsburg trieb.

Es war nicht der hektische Kutschenverkehr am Stern1, nicht der behä-bige Service in den zahlreichen Soldatenschenken2, auch nicht das Gebrälle der Marktleute3 oder die nächtlichen Krawalle im Täle4. All dies liebte er, all dies floss in sein Werk. Nein, dies war es nicht, sondern das: Es ist Freitag im Jahre 1772, kurz nach halb eins. Gerade kommt Fritz, 12 Jahre alt, hoch erleichtert aus der ungeliebten Schule. Die geist- und herzlose Erziehung der pedantischen Lehrer war heut wieder mal zum Kotzen. Ein hübsches Wort... - es entwickelte beim Zermurmeln den süßen Geschmack von Rache. Aber fast zwanghaft übersetzte er's gleich ins lateinische "spuere" und konjugierte es im Aktiv durch.

Doch nun freute er sich aufs Essen. Das war ihm das Schönste am Heim-weg: Maultaschen in der Brüh, das Apfelmus danach mit Zimmet und Zibeben! Eigentlich mochte er die gar nicht, aber sie eigneten sich trefflich zum Weitspucken. Bald würde er darin seinen Freund Chris übertreffen, der immer mit Welschkorn übte und deshalb "Körner" genannt wurde.

Etwa 10 Dragonerschritte vor dem Kastanienbaum am Ende der Seiten-straße - dort wo heute morgen der Zebrastreifen erneuert wurde (das Weiß der Plastikfolie zeigt einen Stich ins Bahamabeige) - dort also blieb er stehn und schob sich ein ausgeborgtes Maiskorn in den Mund. Der rote Schopf sank in den Nacken, die Knabenlunge füllte sich, blähte die sommersprossigen Wangen und schoss - oh Himmel, fast platzte Schiller der Kragen! - das eingespeichelte Korn in Richtung Baum! Just in dem Moment bog ein Herr um die Ecke.

Der Zungenschuss hatte Wucht, Drall und Weite, traf aber nicht den anvisierten Stamm, sondern ein Auge seines Lateinlehrers.

"Verdammter roter Teufel!" zeterte dieser et zetera et zetera.

Fritz stand zunächst wie erstarrt. Doch statt sich nun zu entschuldigen, bat er in wirren Worten sein Opfer, ihm die Flugweite des Geschosses zu bestätigen. Das gab dem Pädagogen den Rest: "Verruchte, verheerte Seele! Du bist dieser Stadt nicht würdig! Ich fluche dir: Hinweg! Hau doch ab nach drüben!"

Er wies in Richtung Bärenwiese, meinte aber mindestens Marbach, vielleicht auch Jena, wahrscheinlich aber Weimar. Denn dort erfüllte sich der Fluch. Der junge Schiller nahm sich die Verwünschung des Altphilo-logen so sehr zu Herzen, dass er kurz darauf hastig zu Mittag aß, aufs Zibebenwettspucken mit Freund Körner verzichtete und knapp 34 Jahre später in Weimar verstarb.

Im Schreibepult des verstoßenen Dichters fand sich, neben faulen Äpfeln, ein in Kastanienharz eingeschlossenes Maiskorn.

Aus: Armin Elhardt, Mit Karl Eugen im Feuchtgebiet, EDITION WUZ Nr. 1, Freiberg.


1 "Stern" als Metapher für Ludwigsburg in Wallenstein V, 5; Vers 3616 f.: "Ein naher Feind, ein Unhold lauert hinter / Den Strahlen deines Sterns"
2 vgl. "In Auerbachs Keller": Schillers Beitrag zu Goethes Faust
3 Wilhelm Tell, III, 3; Vers 8: " 's war doch sonst wie Jahrmarkt hier."
4 vgl. "Die lustigen Weiber von Windsor" (fälschlicherweise Shakespeare zugeschrieben)

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